Gestern hatte ich einen enorm spannenden Online-Abend. Normalerweise habe ich abseits des Fandoms und mal dem einen oder anderen Forum ausnahmnsweise nicht viel Kontakt zu Leuten online. Wenn jemand mich anchattet oder ein Unbekannter mir eine Nachricht schreibt, dann antworte ich meistens nicht. Was auch daran liegt, daß es sowieso meistens heterosexuelle Männer sind, und es interessiert mich eher, Frauen kennenzulernen oder generell Leute, die es auf mich nicht aufgrund dessen abgesehen haben, daß ich zufällig zur einzigen demographischen Gruppe gehöre, die sie sexuell begehren.
Irgendwo hab ich dieses Vorurteil, daß die meisten Kerle die mir online schreiben (vor allem wenn es auf einem Dating-Portal wie okcupid.com ist), an mir als Person null Interesse haben, sondern nur mal rausfinden wollen, ob ich vielleicht fuckable bin.
Und gestern hab ich das Vorurteil gleich bestätigt und widerlegt bekommen, oder es war ein Fall von "Ausnahmen bestätigen die Regel".
Ein Kerl schrieb mich im Facebook an und fragte mich, ob ich Polyamory praktiziere. Bei mir schellten schon die Alarmglocken, aber ich will mich ja meinen Vorurteilen nicht ergeben und schrieb "ja, warum fragst du?" (Also, auf Englisch, und seins schien mir entweder nicht so gut zu sein oder er gab sich keine Mühe, vermute letzteres.) Er erklärte, er wolle über Polyamory lernen und "erfahren", wo bei dem Wort erfahren natürlich auch wieder in meinem Kopf ne Menge roter Lichter blinkten. Nunja, wir schrieben ein bißchen hin und her, da ich gerade in offener Stimmung war und ich mit einer Freundin im Chat teilen konnte was gerade so abging. Irgendwie antwortete der Kerl mir immer nur mit einem Satz und Fragen. Was ihn genau an Polyamory interessiert und wie er drauf gekommen ist, wollte er mir offenbar nicht so recht erklären. Wahrscheinlich, weil er auch sowieso keine Ahnung hatte, wovon er überhaupt redete.
Es ist nämlich so, wenn irgendwo - nein, präziser, auf einer offenbar weiblichen Person - Polyamory draufsteht, dann sehen die Kerle nicht Polyamory. Sondern sie sehen: Boah eh die hat kein Freund (der auf sie aufpaßt)und will aber mit vielen! Is die so notgeil will die garantiert auch mit mir!
ZONK.
Nein, will ich nicht. Du bist unaufmerksam, unattraktiv und beleidigst mich, indem Du Annahmen über mich aufgrund eines kleinen Details anstellst, das ich über mich preisgegeben habe. Und von dem Du nicht die leiseste Ahnung hast. Findest Du das jetzt erotisch oder was?
Was sagt der Fakt, daß ich eine Freundin und einen Freund habe, darüber aus, ob ich mit Person xy, die ich nicht kenne, ins Bett gehen will? Richtig: zero.
Ich schrieb ihm höflich zurück:
if I understand you right, then you've just confimed all my prejudices against heterosexual men who message women on the internet.
look, polyamorous is not the same as available. if you want to find a partner you shouldn't write to poly people and imply they want to date you because they're poly. they will just feel affronted.
good luck with your search and goodbye.
Daß sich solche Vorurteile auch immer bestätigen müssen, dachte ich.
Später irgendwann loggte ich mich seit Monaten das erste Mal wieder bei okcupid ein, wo ich überhaupt einen Account habe, weil man dort so schöne Tests machen und Matching Questions beantworten kann. Ich glaube auch, daß man dort mittlerweile sehr gut Leute kennenlernen kann, da das Matching-System gut funktioniert und viele verschiedene spannende Menschen dort angemeldet sind. Allerdings, wie schon gesagt, kontaktiere ich nicht oft Leute online und nutze diesen Vorteil also kaum aus.
Dieses Mal jedoch wollte ich eine Nachricht beantworten, die mir ein ziemlich interessanter Mensch im Juli geschrieben hatte und die zu beantworten ich vor mir hergeschoben hatte, warum auch immer, weil ich das halt so mache. Ich beantwortete die Message. (Er hat mir heute schon ganz freundlich zurückgschrieben.)
Dann gurkte ich noch ein bißchen dort rum und las verliebt im Profil meiner Freundin.
Schließlich klickte ich versuchsweise auf meine "Quiver-Matches" - das sind Leute, die eine hohe Übereinstimmung mit einem haben, und von denen man immer wieder drei von okcupid geschickt bekommt. Zwei davon (heterosexuelle Männer natürlich) hatten ein ganz interessantes Profil, aber ich hätte ihnen bestimmt nicht allein deshalb geschrieben. Der eine war aber gerade online, sah, daß ich ihn besuchte und besuchte mich. Dann schrieb er mich im Chat an und fragte, warum das Rechendingens uns wohl 93% Übereinstimmung bescheinigt. Ich fand, er war nett, und ich fühlte mich gerade kommunikativ, also antwortete ich.
Ein oder zwei Stunden später verabschiedete ich mich zwecks Schlafengehen (da war es halb fünf). Ich starrte meinen Bildschirm an und murmelte "what the fuck?" (Ja, ich führe Selbstgespräche auf englisch.) Weil sich das Gespräch so angenehm und bereichernd angefühlt hat, daß ich mich tatsächlich schon auf das nächste Mal freute. Vielleicht erinnert ihr euch, was ich über den Entspannungsfaktor von Gesprächen mit Leuten schrieb, denen man die Basics nicht erst erklären muß. Ja, genau so. Ich nehme an, dafür sind diese Match-Dinger da, um die Basics zu erledigen.
Am Telefon unterhielt ich mich mit W darüber, wie seltsam mir das vorkommt, daß irgendwelche einsamen Männer, die ne Frau suchen, einfach nach dem Zufallsprinzip irgendwen anschreiben, ohne auch nur im Mindesten darauf zu achten, was für eine Person es ist. Ich stelle mir vor, wenn ich allein in einem fremden Land säße, wo ich nur arbeite und die Sprache nicht kann (was bei meinem ersten Gesprächspartner der Fall war), dann würde ich auch versuchen, Leute online kennenzulernen. Aber ist das denn erfolgverprechend, dieses blind mit dem Finger auf einen Zufallspunkt tippen und mit dem in Kontakt treten? Kann mir nicht vorstellen, daß das oft funktioniert, oder überhaupt.
Vermutlich spreche ich von einer in diesem Belangen privilegierten Position, wenn ich sage, wäre es nicht sinnvoller, Leute anzuschreiben, die auch tatsächlich etwas mit mir gemeinsam haben? An meinen Beispielen würde sich das bestätigen. Doch wenn man verzweifelt genug ist, und ein Heteromann, für den es ohnehin viel schwerer als für eine Frau ist, Sexualpartner_innen kennenzulernen?
Gerade frag ich mich, warum ich versuche, die Randomanlaberer nachzuvollziehen. Schließlich ist das doch nichts anderes als Entitlement, wenn man eine (nach Foto zu urteilen offenbare) Frau mit einem geschlossenen Facebook-Profil anlabert, die nirgends darauf hinweist, daß sie angelabert werden will, und dann Annahmen auf sie losschickt.
Auf der anderen Seite erinnere ich mich, wie sehr man manchmal das Bedürfnis nach Kontakt spürt - und je einsamer du bist, je stärker dein Bedürfnis, desto angespannter wirst du, und desto schwerer wird es, den Kontakt tatsächlich zu bekommen, weil du keine Geudld hast, und keine Entspanntheit.
Mein zweiter Gesprächspartner und ich, wir hatten dieses Gespräch nicht nötig, wir wollten es einfach nur. Es lag (denke ich) nicht das Bedürfnis dahinter, auf Teufel komm raus demnächst miteinander ficken zu wollen, sondern das Gespräch konnte sich ohne Zielrichtung entwickeln, wohin es eben ging. Wir sind keine Fremden in einem unbekannten Land, in dem es uns schon allein aufgrund unserer Herkunft und Hautfarbe schwerer fällt, Partner_innen zu finden.
Also, eigentlich wollte ich was über meine Erlebnisse erzählen, einfach so, und jetzt bin ich bei Überschneidungen von Privlege, wovon ich nichtmal Ahnung habe.
Außerdem hab ich schon bei der Hälfte des Post beschlossen, ihn öffentlich zu machen, jetzt möcht ich mich nicht dagegen entscheiden.
Das Frühstück ruft nach mir. Wenn also jemand ein Fazit möchte, muß sie/er es sich selbst ausdenken.